Rüdiger Lancelle feiert im August sein 50-jähriges Prädikantendasein. Viele Hunderte Predigten hat er als ehrenamtlicher Prediger gehalten. Dabei kannte er Jesus und Gott nach eigenen Worten nur vom Hörensagen, als er 1967 nach Cochem kam.
Geboren und aufgewachsen in Wuppertal, führte Rüdiger Lancelles Lebensweg ihn als Student nach Berlin, Göttingen und Koblenz, ehe er 1967 in Cochem seine erste Stelle als Lehrer antrat. „Ich bin froh, dass ich hiergeblieben bin. Ich habe hier meine Heimat gefunden“, sagt er heute. Damit meint er aber keineswegs nur die Stadt, sondern vor allem auch die Evangelische Kirchengemeinde Cochem .
Einladung zum Mittagessen verändert vieles
Erwartet hat er das damals nicht, wie der ehemalige Realschullehrer für Mathematik und Biologie berichtet: „Kurz nach meiner Ankunft erhielt ich vom evangelischen Pfarrer Gerd Graf eine Einladung zum Mittagessen, die ich gerne angenommen habe.“ Danach habe er sich gefragt, wie er sich revanchieren könne. „Ein Gottesdienstbesuch dürfte einem Pfarrer gefallen, dachte ich.“ Also ging er am darauffolgenden Sonntag in die Kirche. „Pfarrer Graf hielt eine faszinierende Predigt“, weiß Lancelle noch genau. Und wie erwartet war er erfreut über seinen Besuch – und lud ihn direkt wieder ein. „Von 1963 bis 1983 war ich schließlich jeden Dienstag im Pfarrhaus zum Essen und besuchte sonntags den Gottesdienst.“
„Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich predigen möchte“
Der 84-Jährige wuchs zunehmend in die Gemeinde hinein – und die Gemeinde wurde gewissermaßen zu seiner Berufung. Mehr als 40 Jahre war er im Presbyterium aktiv, lange Jahre auch als dessen Vorsitzender. Er war Teil des Kreissynodalvorstands des Kirchenkreises Koblenz . 20 Jahre gehörte er der Landessynode der rheinischen Kirche an. Und seit 1973 ist er ordinierter Prädikant. „Irgendwann wurde ich gefragt, ob ich die Gemeinde mit Predigten versorgen wolle. So wurde ich Predigthelfer, wie es früher noch hieß“, erzählt Lancelle, der sich zudem im Initiativkreis gegen Atomwaffen in Büchel engagiert.
Wortverkündigung auch ohne Theologiestudium
In der Evangelischen Kirche im Rheinland können ehrenamtlich und beruflich Mitarbeitende auch ohne Theologiestudium den „Dienst am Wort“ ausüben. Sie werden Prädikant oder Prädikantin genannt, was nichts anderes heißt als Prediger beziehungsweise Predigerin. Derzeit sind etwa 700 ehrenamtlich und rund 200 beruflich Mitarbeitende als Prädikant*innen in der rheinischen Kirche im Einsatz (Stand: September 2023). Auf ihren Dienst werden sie in Kursen vorbereitet. Am Ende dieser theologischen Zurüstung steht die Ordination . Dabei handelt es sich um die kirchliche Beauftragung zum öffentlichen Dienst an Wort und Sakrament.
„Mein Examen war keine Qualifikation für die Sonntagspredigt“
Lancelle hatte durchaus Bedenken, ob er der Aufgabe, das Wort Gottes unter die Menschen zu bringen, gewachsen ist. „Mein Examen für den Lehrerberuf war ja keine Qualifikation für eine Sonntagspredigt.“ Letzten Endes habe die Not des Pfarrers den Ausschlag gegeben, dass er seinen Mut zusammennahm. „Unsere Gemeinde umfasst 77 Ortschaften. Der Grundsatz des Pfarrers war, dass der Weg zum nächsten Gottesdienst nicht länger als zehn Kilometer sein darf. Das war natürlich eine große Herausforderung für ihn.“
Psalm 139 als Wegbegleiter
Mittlerweile hat Lancelle viele Hunderte Predigten gehalten. Am 13. August kommt eine weitere dazu. Dann feiert er sein 50-jähriges Prädikantendasein. Im Mittelpunkt steht ein Satz aus Psalm 139: „Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast!“ Dieser Satz „ist mir hängen geblieben und hat mich schon immer begleitet“. Im Anschluss an den Gottesdienst gibt es ein gemeinsames Mittagessen im Garten des Gemeindehauses.
VW-Busse sind sein Markenzeichen
„Das Wort Gottes unter die Menschen zu bringen, macht für mich das Prädikantenamt aus“, sagt Lancelle. Das ist nicht nur in Gottesdiensten möglich, wie er regelmäßig bewies. So lud er von 1974 bis zu seiner Pensionierung 2003 seine Schüler*innen jeden Schultag zu einem Morgengebet in der Kirche ein. 20 Jahre lang leitete er eine ökumenische Jugendgruppe. „Viele der Jugendlichen haben dadurch etwas von Gottes Wort gehört, ohne in den Gottesdienst zu kommen.“ Im Jahr der Bibel 1992 verteilte Lancelle mit Jugendlichen „1000 Bibeln für Cochem“. Und dann wäre da noch seine ganz besondere Art, vom Glauben zu berichten: „Ich habe mittlerweile den elften VW-Bus. Die Busse habe ich von Anfang an beschriftet, etwa mit ,Jesus lebt‘, ,Jesus first‘ oder ,Halleluja‘.“
Prädikant*innen bringen eigene Lebenserfahrungen mit ein
Dem 84-Jährigen war es immer wichtig, auf Menschen zuzugehen. „Für die Zukunft wünsche ich mir, dass sie sich wieder mehr um das Wort Gottes versammeln.“ Damit das gelingen könne, spielten Prädikant*innen eine wichtige Rolle. „Es ist eine gute Sache, wenn die Verkündigung nicht nur bei Theologinnen und Theologen liegt.“ Dem stimmt Eckart Schwab, für das Prädikantenamt zuständiger Dezernent im Landeskirchenamt, zu: „Prädikantinnen und Prädikanten sind wichtig für unsere Kirche, weil sie aus ihren besonderen privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Bezügen heraus das Wort Gottes im Namen und im Auftrag der Kirche auslegen und verkündigen.“ Lancelle möchte jedem Mut machen, sich das Amt zuzutrauen. „Es macht Freude, die Bibel zu lesen, die Texte auszulegen und den Menschen das Wort Gottes näherzubringen.“