Freiheit und christlicher Glaube sind für viele Menschen ein Gegensatz: Gottesdienst frühmorgens am Sonntag? Klare Vorgaben zu Taufe, Hochzeit und Beerdigung? Und über allem die Zehn Gebote? Das klingt nach ganz schön vielen Regeln und relativ wenig Freiheit. Aber: Gerade in den Zehn Geboten findet sich ein Hinweis auf die Freiheit. Dieser Verweis zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Und er ist zentral für den Glauben von Christinnen und Christen.
Ja, der Mensch hat die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. Diese Freiheit ist aber an vielen Stellen begrenzt. Unser Leben ist begrenzt. Auch Wissenschaft, Technik und Künstliche Intelligenz geben uns nicht alle Antworten für die richtige Entscheidung. Aber wie können wir dennoch Freiheit erlangen?
Freiheit des Menschen in der Bibel
Christinnen und Christen glauben, dass Gott Freiheit schenken kann. Und so gibt es viele Bibelstellen, die davon berichten, wie Gott Freiheit schenkt. Die Themen Glauben und Freiheit findet man daher sowohl im alten, als auch im neuem Testament.
Freiheit und Glaube im alten Testament
Schon zu Beginn der Bibel wird der Mensch als Wesen beschrieben, das die Freiheit hat, eigene Entscheidungen zu treffen. Da ist der sogenannte „Sündenfall“ (1. Mose 3 ), bei dem der Mensch die Frucht des verbotenen Baums isst – eine freie Entscheidung. Jedoch hat diese eine Konsequenz: Er muss das Paradies verlassen.
In der Einleitung der Zehn Gebote heißt es: „Ich bin der Herr, dein Gott! Ich habe dich aus dem Land Ägypten herausgeführt – aus dem Leben in der Sklaverei. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben!“ (2. Mose 20 ) Noch bevor das erste Gebot überhaupt formuliert ist, erinnert Gott daran, dass er das Volk Israel in die Freiheit geführt hat. Die Freiheit ist in der Bibel ein zentrales Thema. Immer wieder wird davon berichtet, dass Gott Menschen Freiheit schenkt oder Menschen durch ihren Glauben frei werden.
Der Auszug aus Ägypten ist dabei wohl eines der bekanntesten Beispiele. Gott führt das Volk Israel in die Freiheit. Er teilt das Meer, damit das Volk Israel vor ägyptischen Verfolgern fliehen kann (2. Mose 14 ). Im Alten Testament finden sich viele Stellen, in denen Gott Menschen zur Freiheit verhilft. So gibt es in den Psalmen mehrere Stellen, in denen Menschen von ihrem Blick auf die Freiheit berichten.
In Psalm 97 heißt es: „Die ihr den Herrn liebt, hasst das Böse! Er beschützt das Leben seiner Frommen. Aus der Gewalt der Frevler reißt er sie heraus. Ein Licht strahlt auf über den Gerechten. Freude erfüllt die Herzen der Aufrechten.“ In diesem Psalm geht es auch um die Verbindung von Freiheit und Gottes Gerechtigkeit. Verkürzt könnte man sagen: Wer sich der Gerechtigkeit Gottes bewusst ist, der wird frei sein.
Freiheit des Menschen im Neuen Testament
Im Neuen Testament sind die Begriffe Freiheit und Glaube ebenfalls nicht voneinander zu trennen. Jesus und seine Jünger gehen auf Menschen zu, die am Rande der Gesellschaft stehen. Die Wunder, die Jesus vollbringt, richten sich auch zu einem großen Teil an Kranke, Arme und von der Gesellschaft ausgeschlossene Menschen. Im Handeln Jesu wird deutlich: Gottes Liebe kann Grenzen überwinden. Und wo Grenzen überwunden werden, entsteht eine Form von Freiheit.
Freiheit bei Paulus: äußere und innere Freiheit
In den Schriften des Paulus spielt die Freiheit eine zentrale Rolle. Für Paulus hat die Freiheit mehrere Dimensionen. So findet sich bei ihm ein Bezug auf ein neues Leben im Glauben, das Freiheit bedeutet. Durch den Glauben und den Heiligen Geist würden Unterschiede wie Herkunft, Geschlecht oder sozialer Status keine Rolle mehr spielen (Gal 3,28 ).
Dazu sieht Paulus eine Freiheit vom Gesetz. Damit meint er Regeln der Herrscher oder jüdische Traditionen. Für ihn sind sie nicht komplett wertlos, aber er sieht sie nicht als starres System. Für ihn ist entscheidend, dass Jesus Christus die tiefste Absicht all dieser Gesetze erfülle: die Liebe. Oder vereinfacht gesagt: Wenn das Gebot der Nächstenliebe befolgt werde, so seien automatisch alle Gesetze erfüllt (Gal 5,14-23 ).
Paulus bezieht sich in seinen Schriften auf den Tod am Kreuz von Jesus. Jesus ist demnach für die Vergebung der Sünden aller Menschen gestorben. Mit seiner Auferstehung hat er den Tod besiegt. Das bedeute demnach eine Befreiung von Tod und Sünde für alle, die an Jesus glauben (Röm 8,1-11 ).
Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Freiheit
Was Paulus in den Mittelpunkt stellt, ist meist eine Form der inneren Freiheit. Frei ist demnach, wer aus sich heraus seinen Nächsten liebt.
In der biblischen Tradition gibt es auch die äußere Freiheit. Dabei geht es um politische und soziale Umwälzungen: Menschen werden aus der Sklaverei befreit, oder ihnen werden Schulden erlassen. Paulus ignoriert nicht, dass es auch diese Form der Freiheit gibt. Entscheidend für ihn ist aber immer der Bezug auf die innere Freiheit, die sich in der Liebe zeige.
Martin Luther: Freiheit eines Christenmenschen
Martin Luther hat sich in seinem Werk „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ ausführlich mit der theologischen Frage nach Freiheit auseinandergesetzt. Vor allem zwei Thesen zur Freiheit bilden den Kern dieser Denkschrift, die Luther als Antwort auf die Bannbulle des Papstes gegen ihn schrieb: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“
Genau so schreibt Luther aber auch: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“
Wie passt das nun zusammen: frei von allen anderen zu sein und gleichzeitig allen dienen zu müssen? Luther beschreibt hier eine innere und eine äußere Freiheit. Auf der einen Seite ist der Mensch frei in seinem Willen und kann so frei entscheiden, ohne auf äußere Einflüsse achten zu müssen. Auf der anderen Seite sagt Luther, dass Christinnen und Christen anderen dienen sollen. Was wie eine Pflicht klingt, kann aber auch als Freiheit ausgelegt werden. Durch Jesus Christus, sein Wirken und sein Beispiel, können sich Christinnen und Christen auf das konzentrieren, worauf es ankommt: auf die Liebe und den Dienst am Nächsten.
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Äußere und innere Freiheit: Luther aus heutiger Perspektive
In der theologischen Diskussion wurden und werden die beiden Thesen Luthers in Verbindung zu unserem heutigen Freiheitsverständnis gesetzt. Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm befasste sich 2016 in einem Aufsatz mit dem Freiheitsbegriff Luthers . Nach Ansicht des Theologen sei die erste These Luthers („niemand untertan“) vergleichbar mit dem, was wir heute Zivilcourage nennen. Menschen stünden demnach zu dem, was sie meinen und könnten ihren Überzeugungen auch dann folgen, wenn Machthaber*innen etwas anderes sagen.
Luthers Freiheitsbegriff gehe aber noch einen Schritt weiter. Zwar habe jeder Mensch die Freiheit, seinem Gewissen zu folgen, aber nur, wenn dies im Rahmen der Nächstenliebe geschehe. Laut Bedford-Strohm lassen sich daraus auch ganz konkrete Verbindungen zu Politik und Wirtschaft ziehen. Freiheit bedeute demnach auch, dass den Schwächeren in einer Gesellschaft geholfen wird.
Christliches Freiheitsverständnis: die theologischen Grundlagen
Im Christentum liegt der Fokus vor allem auf der Freiheit, die durch die Nächstenliebe entsteht. Diese Lesart von Freiheit findet sich vor allem im Neuen Testament und im Wirken von Jesus. Dabei gab es über die Jahrhunderte hinweg teils sehr unterschiedliche Auslegungen des Freiheitsbegriffs. Augustinus (354–420) etwa war der Auffassung, dass der Mensch wegen der Ursünde gar nicht in der Lage sei, aus eigener Kraft zum Heil zu gelangen. Nur Gottes Gnade könne ihn erretten und somit Freiheit bringen.
Pelagius (350-420) und viele andere Theologen werteten den Sündenfall anders. Der Sündenfall beschreibt die Geschichte von Adam und Eva, die aus dem Paradies verbannt wurden. Die Sünde würde laut Pelagius den Menschen zwar stark belasten. Aber mit Gottes Hilfe könne der Mensch sich dennoch für einen guten Weg entscheiden.
Unterschiedliche Auffassungen von evangelischer und katholischer Kirche
Die Diskussion um die Frage, wie der Mensch Heil und Freiheit erlangen kann, warf auch der Reformator Martin Luther (1483–1546) auf. Luther war selbst Augustinermönch und lehnte eine starke Betonung der menschlichen Freiheit ab. Heil könne laut Luther alleine durch Jesus Christus, durch den Glauben und durch die Gnade Gottes entstehen – nicht also durch freies Handeln des Menschen. Das kirchliche Konzil von Trient (1546–63) bekräftigte zwar, dass die Gnade allein die Grundlage der Rechtfertigung sei. Es hielt aber daran fest, dass der freie Wille des Menschen nicht völlig zerstört sei.
In der Neuzeit gibt es zwischen Vertreterinnen und Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche Diskussionen. Dabei wird versucht, diese unterschiedlichen Sichtweisen zu überwinden. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 betont, dass Gnade allein wirkt, aber dennoch Raum für menschliche Zustimmung oder Ablehnung bleibt. Während Martin Luther eine zu starke Betonung der menschlichen Freiheit weitestgehend ablehnte, erkennen moderne Lutheraner in einem Punkt eine Form der Freiheit sehr wohl an: Der Mensch könne die Gnade Gottes schließlich auch ablehnen.
Gottes Freiheitsversprechen
Man könnte daher von einer Freiheit von Gott sprechen. Eine ähnliche Form der Freiheit findet sich auch schon bei der biblischen Erzählung von den Zehn Geboten. Denn während Moses diese auf dem Berg Horeb erhält, lässt das Volk Israel ein Goldenes Kalb als Götzenfigur bauen. Gott wird daraufhin wütend und will das ganze Volk Israel vernichten.
Moses aber antwortet Gott mit einer Fürbitte, die an Gottes eigenes Freiheitsversprechen erinnert: „Es ist doch dein Volk! Du hast es mit großer Kraft und starker Hand aus Ägypten geführt. Warum sollen die Ägypter sagen: ‚In böser Absicht hat er sie herausgeführt. Er wollte sie in den Bergen umbringen und vom Erdboden vernichten‘?“ (2. Mose 32 ) Gott lässt sich von Moses überzeugen. Gott schützt das Volk Israel also vor Gott. Gott selbst ermöglicht also auch eine Freiheit von Gott.
Freiheit und Religion: Judentum und Islam
In vielen Religionen spielt die Freiheit eine große Rolle. Viele Menschen glauben daran, dass ihre Religion in irgendeiner Weise Freiheit verschafft – sei es für das Leben in der Gegenwart oder weil sie an ein Leben nach dem Tod glauben.
Im Judentum ist das Verständnis von Freiheit eng an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten gebunden, wie es zum Beispiel der Zentralrat der Juden immer wieder zum Fest Pessach betont. Gott befreit das Volk aus der Sklaverei. Aber das geht nicht sofort, sondern mühsam über einen 40-jährigen Umweg durch die Wüste. Und die Freiheit scheint auch erst erlangt, als Gott Mose die Zehn Gebote sendet.
Das klingt ein wenig paradox: Freiheit, die erst durch weitere Regeln entsteht? Im Judentum bilden die Zehn Gebote und weitere Regeln, die sich in der Tora finden, den zentralen Kompass auf dem Weg durch das Leben. Viele Jüdinnen und Juden feiern den Auszug aus Ägypten Jahr für Jahr. Dabei erinnern sie sich an dieses Ereignis so, als hätten sie es selbst miterlebt.
Im Islam gibt es zwei Arten von Freiheit: die persönliche und die gemeinsame. Der Forscher Ulrich Rebstock erklärt dies in einem Vortrag. Demnach habe der Mensch in Glaubens- und Gewissensfragen die persönliche Entscheidungsfreiheit. Für sein Handeln müsse er aber auch die Konsequenzen tragen. Diese Freiheit finde dort ihre Grenzen, wo die Gemeinschaft (Arabisch: Umma) und deren Werte und die Form des Zusammenlebens beschränkt werden. Dabei biete wiederum die Gemeinschaft überhaupt erst die Rahmenbedingungen, damit das Individuum selbst bestimmen kann. Es gibt also eine Art Wechselwirkung.
Freiheit und Glaube als untrennbare Einheit
Im christlichen Verständnis bilden Freiheit und Glaube eine Einheit. Bedeutende Theologen wie Augustinus haben sich schon vor mehr als 1500 Jahren Gedanken über die Verbindung von Freiheit und christlichem Glauben gemacht. Auch Martin Luther und moderne Theologen haben sich damit befasst. Die meisten Konzepte haben dabei eines gemeinsam: Sie beziehen sich auf Jesus, dessen Wirken und auch dessen Tod. So ist Jesus für die Vergebung der Sünden gestorben. Damit hat er allen Menschen eine Freiheit von der Sünde ermöglicht.
Vor allem dort, wo innere und äußere Freiheit in Verbindung zueinander gestellt werden, wird ein Bild gezeichnet, das dem Gedanken von Freiheit in modernen demokratischen Gesellschaften sehr ähnlich ist. Luthers Konzept von der gleichzeitigen Freiheit von äußeren Einflüssen und der Bindung an die Nächstenliebe könnte man fast schon als Basis für moderne Sozialstaaten sehen. Darin sind die Menschen frei, das zu tun, was sie wollen. Genau so gibt es aber auch eine Fürsorgepflicht für Menschen in Not, Armut oder Hunger.
Gleichzeitig bietet der Blick auf Luthers Verständnis von Freiheit und das Freiheitsverständnis evangelischer Theologen auch für jeden einzelnen Menschen heute noch Ansatzpunkte für das eigene Leben. So hat jeder Mensch einen freien Willen. Er kann sich aber sicher sein, dass es andere Christinnen und Christen gibt, die sich der Nächstenliebe verpflichtet haben und so anderen helfen. Zudem gilt: Am Ende bringt Gottes Gnade Freiheit – und nicht etwa die Tatsache, dass Gläubige bestimmte Regeln, Gesetze oder Traditionen befolgen.
