Ein Leben ohne Ängste, das wünschen sich vielen Menschen. Aber geht das überhaupt? Ein Gespräch mit Jula Heckel-Korsten, Leiterin der Telefonseelsorge in Wuppertal.

Von Angst befreit zu sein, wünschen sich viele Menschen. Welche Rolle spielt das Thema in der Telefonseelsorge?
Jula Heckel-Korsten: In etwa 15 Prozent unserer Gespräche geht es um Ängste. Sie werden damit ungefähr so oft thematisiert wie depressive Stimmungen und familiäre Beziehungen. Anders als vor etwa zehn Jahren ist die Angst bei vielen zu einem grundsätzlichen Lebensgefühl geworden. Unsere Welt befindet sich im starken und schnellen Wandel, was – anders als früher – nah und konkret geworden ist mit Kriegen und Aufrüstung, Terroranschlägen, Hitzewellen und Überschwemmungen durch den Klimawandel und auch der rasanten Entwicklung der Digitalisierung. All das verunsichert und macht Angst. Zum Gefühl der Bedrohung kommen dann noch die konkreten Ängste, die viele von uns kennen: Angst vor Einsamkeit, Trennung, Tod, Versagen oder Armut.
Die beste Hilfe gegen Angst: Nicht alleine bleiben
Können wir überhaupt „angstfrei“ leben?
Heckel-Korsten: Angst gehört zu den Kernemotionen, also zum menschlichen Sein. Es ist ein wichtiges Signal, damit wir merken, dass wir in Gefahr sind und uns schützen können. Insofern sollen wir gar nicht „angstfrei“ leben, auch wenn wir uns das wünschen. Wichtig ist aber, sich nicht von der Angst beherrschen zu lassen. Das ist angesichts der vielen schlechten Nachrichten, die uns heutzutage ständig und schnell erreichen, schwer. Und natürlich gibt es auch in unserem Alltagsleben viele persönliche Zumutungen, die uns Angst machen und dem Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit entgegenstehen.
Wie kann die Telefonseelsorge Menschen helfen, anders mit ihren Ängsten umzugehen?
Heckel-Korsten: Die beste Hilfe gegen Angst ist es, nicht alleine zu bleiben. Das haben Lebewesen im Laufe der Erdzeitgeschichte immer so gemacht. Wenn ein Säugetier sich ängstlich fühlt, orientiert es sich an den anderen Tieren. Wenn diese ruhig bleiben, kann es sich ebenfalls runter regulieren. Genau das geschieht auch in der Telefonseelsorge. Menschen rufen hier aufgeregt und ängstlich an, hören dann eine ruhige Stimme am anderen Ende der Leitung, der sie von ihrer Angst erzählen können. Allein das hilft bereits. Verstanden werden und Beistand erhalten.
Die Angst nicht wegdrücken, sondern beim Namen nennen
Sich mal alles von der Seele zu reden, tut gut, löst aber die Probleme nicht.
Heckel-Korsten: Wenn wir die Angst nicht wegdrücken, sondern beim Namen nennen, verliert sie ihre Macht. Das ist der sogenannte „Rumpelstilzchen-Effekt“ und der kann dann in weiteren Schritten dazu führen, dass Angst nicht mehr lähmt und blockiert. Gemeinsam mit den Anruferinnen und Anrufern überlegen wir, wie die nächsten, konkreten Schritte aussehen können. Die gehen wir als Telefonseelsorgende manchmal sogar ganz konkret mit. Etwa dann, wenn jemand Angst davor hat, das Haus zu verlassen.
Da bin ich schon am Telefon Schritt für Schritt mit auf die Straße gegangen. Oft spielen wir auch durch, wie die Begegnung mit Nachbarn ausfallen könnte, was man sagen kann. Das gilt ebenfalls für schwierige Beziehungsgespräche, vor denen Menschen Angst haben.
Haben Menschen, die alleine leben, mehr Ängste als andere?
Heckel-Korsten: So pauschal lässt sich das sicher nicht sagen, aber wir merken in der Telefonseelsorge sehr wohl, dass Ängste in der Einsamkeit stärker werden. Einsamkeit ist das Thema Nummer 1 der Telefonseelsorge. Es spielt in rund 30 Prozent aller Kontakte eine Rolle. Wir brauchen als Menschen andere Menschen, an denen wir uns orientieren. Und wenn niemand da ist, der uns hilft, unsere Gefühle, unsere Ängste zu regulieren, werden sie größer. Für Menschen, die einsam sind – und das werden leider immer mehr – ist die Telefonseelsorge ein ganz wichtiger Ansprechpartner.
Der Glaube kann helfen, Angst zu überwinden
Hilft der christliche Glaube bei der Überwindung von Ängsten?
Heckel-Korsten: Als Pfarrerin und Leiterin der ökumenischen Telefonseelsorge bin ich davon überzeugt. Jesus Christus hat ja sc
hon gesagt: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe diese Welt überwunden.“ Das bedeutet, wir sind mit unserer Angst nicht alleine und ihr auch nicht hilflos ausgeliefert.
Es gibt eine Macht, die über uns hinausgeht. Gott, dem wir vertrauen können, der uns Kraft und Geborgenheit gibt. Ich erwähne in den Gesprächen durchaus, dass ich auf diese Macht vertraue. Das kann ich auch stellvertretend tun, wenn jemand selbst dazu nicht in der Lage ist. Am Seelsorgetelefon, per Mail oder im Chat, im Gespräch und danach im Gebet für diesen Menschen.
Das Interview ist zuerst auf der Internetseite „Evangelisch in Wuppertal“ erschienen.