„Einzigartig gesegnet!“: Trans*ident mit Gottes Segen

  • Theresa Demski
  • Theresa Demski

Inca Carla nimmt ihre Kerze vom Altar. Ihre Familie hat in bunten Buchstaben ihren Namen darauf geschrieben. Ihren neuen Namen. Inca Carla entzündet ihre Kerze am Osterlicht in der Bonner Schlosskirche und in diesem Moment huscht ihr das Glück über das Gesicht – mit einem kurzen Lächeln blickt sie in die Gemeinde. Und macht sich dann auf den Weg zu Stefan Kandels, Diakon der Altkatholischen Gemeinde in Bonn.

Inca Carla wird von Diakon Stefan Kandels gesegnet.
Inca Carla wird von Diakon Stefan Kandels gesegnet.

Am Anfang der Transition stand nur Ablehnung

„Dieser Segen bedeutet mir so viel“, hat sie zuvor gesagt. Und als der Diakon ihr nun die Hände auf den Kopf legt und ihr den Segen Gottes zuspricht, wird sie ganz leise und lauscht mit geschlossenen Augen. „Du bist ein geliebtes Kind Gottes“, sagt Kandels und zeichnet mit Wasser ein kleines Kreuz auf Inca Carlas Stirn. Als sie die Augen wieder öffnet, kämpft sie mit den Tränen. „Ich bin von Anfang als Kind Gottes durch mein Leben gegangen“, erzählt sie von ihrer Kindheit in einer freikirchlichen Gemeinde. Aber als sie sich endlich traute, ihrer Familie und den Glaubensgeschwistern zu erzählen, dass sie eigentlich nie ein Mann gewesen sei und nun endlich den Weg der Transition gehen wolle, da erlebte sie Ablehnung. „Man sah mir ins Gesicht und sagte mir: Ich komme in die Hölle“, erzählt Inca Carla. Die Erinnerungen sind an diesem Abend in der Schlosskirche alle noch da und auch der Schmerz, der damit verbunden ist. Aber für einen Moment wird er übertönt – von den Melodien des Segnungsgottesdiensts und von den Segensworten. „Ich feiere heute auch, dass ich endlich annehmen kann, dass Gott mich genauso gemacht hat, wie ich bin“, sagt Inca Carla. Und dann stellt sie ihre leuchtende Kerze zurück auf den Altar und nimmt in der ersten Bank in der Schlosskirche Platz.

Erster ökumenischer Segnungsgottesdienst zur Transition

Es ist der erste ökumenische Segnungsgottesdienst zur Transition in der rheinischen Kirche: „Trans*ident mit Gottes Segen“. So wie Inca Carla haben sich auch Kim, Mio Josia und Anno-Ben für die Segnung angemeldet und sich an der Vorbereitung des Gottesdiensts beteiligt. „Aber es war uns wichtig, dass Besucher sich auch noch spontan segnen lassen können“, sagt Dr. Anne Kathrin Quaas, Pfarrerin für Stadtkirchenarbeit  im Kirchenkreis Bonn. Und so stehen während des Gottesdiensts auch zwei Gäste aus ihren Reihen auf, lassen sich segnen und verhehlen nicht, was ihnen dieser Abend bedeutet.

Kim ließ sich spontan im Gottesdienst segnen.
Kim ließ sich spontan im Gottesdienst segnen.

„Segnung fühlt sich an, wie eine Taufe auf den neuen Namen“

„Als ich meine Urkunde mit meinem neuen Namen erhielt, da war das wie eine Neugeburt für mich“, erzählt Kim, „diese Segnung fühlt sich für mich an, wie eine Taufe auf meinen neuen Namen.“ Sie hat einen guten Freund mitgebracht, der während der Segnung als Zeuge eine Hand auf ihre Schulter legt. Die Tränen stehen ihr in den Augen als Pfarrerin Quaas ihr die biblischen Verse aus Jesaja zuspricht: „Dann sehen die Völker deine Gerechtigkeit und alle Könige deine strahlende Pracht. Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt.“ Kim nickt.

Keine Strafe von oben, stattdessen: Segen!

Beim Rückweg in ihre Reihe gratuliert sie Anno-Ben, der gerade von seiner eigenen Segnung auf seinen Platz zurückkehrt. „Ich würde mir wünschen, dass auch meine Kirche heute hier wäre“, sagt der Katholik und erzählt von den negativen Erfahrungen – im katholischen Kindergarten, auf dem Mädchengymnasium und in der Gemeinde. Und er erzählt er auch von jenem Moment, als er seine neuen Papiere abholte: „Ich war sicher, eine Strafe von oben erwartet mich. Aber, Überraschung, sie blieb aus“, sagt er. Stattdessen: Segen! Und genau diesen Schutz von oben wünsche er sich für seinen Weg. Es sei an der Zeit, dass sich die Kirche an die Seite von queeren Menschen stelle, sagt Anno-Ben. „Wir erleben gesellschaftlich eine zunehmende Diskriminierung“, erinnert er, „da hat Kirche doch die Aufgabe, uns zu schützen.“ Der Segnungsgottesdienst vermittelt dieses Signal vielen der Teilnehmenden: „Es ist schön, diese kirchliche Begleitung auf meinem Weg zu haben“, sagt Mio Josia, Küster in der Schlosskirche. Er empfinde als Studierender eine offene und freundliche Atmosphäre und sei an queere Gottesdienste erinnert. „Das ist hier ein großes Glück“, sagt er.

Klares Signal: „Ihr seid gesehen, ihr seid geliebt, ihr seid gesegnet“

Die evangelische Pastorin Katharina Opalka freut sich über diese Wahrnehmung. Seit Jahren engagiert sie sich für queersensible Gottesdienste für die Studierenden. „Dieser Segnungsgottesdienst ist der nächste logische Schritt“, sagt sie. Sie weiß, dass viele der Teilnehmenden um diesen Segen gekämpft und gerungen haben. „Wir wollen heute ganz klar das Signal setzen: Ihr seid gesehen, ihr seid geliebt, ihr seid gesegnet und ihr werdet ein Segen sein.“ Diese Worte verklingen an diesem Abend nicht. Sie spiegeln sich in den Tränen der Menschen, die sich segnen lassen. Und sie werden auch von Dietmar Pistorius, Superintendent im Kirchenkreis Bonn, aufgegriffen: „Unser Handeln ist nicht beliebig, dahinter steckt ein theologischer Auftrag“, erinnert er, „wir feiern die Vielfalt, die Gott geschaffen hat – die Gott nach seinem Bildnis geschaffen hat.“

Das ökumenische Team: (von links) Pfarrerin Katharina Opalka, Pfarrerin Dr. Anne Kathrin Quaas und Diakon Stefan Kandels.
Das ökumenische Team: (von links) Pfarrerin Katharina Opalka, Pfarrerin Dr. Anne Kathrin Quaas und Diakon Stefan Kandels.

Rheinische Kirche gegen jede Gewalt gegen queere Menschen

Diese Überzeugung hat die Landeskirche jüngst bei der Synode verbrieft und sich deutlich gegen jede Gewalt gegen queere Menschen ausgesprochen. Zu dem synodalen Beschluss gehört auch ein Schuldbekenntnis, das eingesteht, dass Menschen aufgrund ihrer Identität oder sexuellen Orientierung auch in der und durch die Evangelische Kirche im Rheinland Diskriminierung erfahren haben. „Wir wollen es jetzt besser machen“, verspricht Pfarrerin Quaas beim Segnungsgottesdienst in Bonn.

Während die Glocken läuten und sich viele der Besucher auf den Weg zum gemeinsamen Feiern im Gemeindehaus der Altkatholiken machen, löscht Inca Carla ihre Kerze auf dem Altar. Sie gehe gestärkt auf den Weg, der vor ihr liegt, so schwer er auch werde, sagt sie. Und dann blickt sie auf das bunte Altartuch und die Osterkerze und sagt jene Worte, die ihr lange nicht über die Lippen kommen wollten: „Wir gehören zu dieser Kirche und zu Gottes wunderbarer Schöpfung.“